Einlass: 23.05.2021, 13:50

Zeit: 23.05.2021, 14:00 – 17:00

Einführung/Moderation: Chen Si’an

Gäste beim Nachgespräch: Sebastian Hartmann (Regie), Claus Caesar (Dramaturgie)

Ort: Goethe-Institut China (Originality Square, 798 Art District, Jiuxianqiao Road No. 2, Chaoyang District, Beijing)

Sprache des Screenings: Deutsch mit chinesischen Untertiteln

Sprache des Nachgesprächs: Deutsch, Chinesisch mit chinesischen Untertiteln

Eintritt frei. First come, first served.

Als Kooperationspartner der Berliner Festspiele begleitet das Goethe-Institut China auch das diesjährige Theatertreffen und präsentiert mit nur wenigen Tagen Verzögerung ausgewählte Stücke mit Videovorführungen, Einführungen und Diskussionen an drei Wochenenden im Mai in seinen Räumlichkeiten in „798“.

Am 23. Mai 2021 präsentiert das Goethe-Institut China die Aufzeichnung der Inszenierung, die zum diesjährigen Theatertreffen eingeladen ist: „Der Zauberberg“ nach Thomas Mann in der Regie von Sebastian Hartmann am Deutschen Theater Berlin (Livestream Premiere: 20.11.2020). Mit einer Einführung durch Chen Si’an und einem anschließenden Q&A mit dem Regisseur Sebastian Hartmann und dem Dramaturgen Claus Caesar.

„Was ist die Zeit?“, unter diese Leitfrage stellt Sebastian Hartmann seine Adaption des Zauberbergs von Thomas Mann. „Ein Geheimnis,“ schreibt dieser, „wesenlos und allmächtig. Eine Bedingung der Erscheinungswelt, eine Bewegung, verkoppelt und vermengt dem Dasein der Körper im Raum und ihrer Bewegung. Wäre aber keine Zeit, wenn keine Bewegung wäre? Keine Bewegung, wenn keine Zeit? Ist die Zeit eine Funktion des Raumes? Oder umgekehrt? Oder sind beide identisch? Die Zeit ist identisch, sie hat verbale Beschaffenheit, sie ‚zeitigt‘. Was zeitigt sie denn? Veränderung! Jetzt ist nicht Damals, Hier nicht Dort, denn zwischen beiden liegt Bewegung. Da aber die Bewegung, an der man die Zeit misst, kreisläufig ist, in sich selber beschlossen, so ist das eine Bewegung und Veränderung, die man fast ebensogut als Ruhe und Stillstand bezeichnen könnte; denn das Damals wiederholt sich beständig im Jetzt, das Dort im Hier. Da ferner eine endliche Zeit und ein begrenzter Raum auch mit der verzweifeltsten Anstrengung nicht vorgestellt werden können, so hat man sich entschlossen, Zeit und Raum als ewig und unendlich zu ‚denken‘, in der Meinung offenbar, dies gelinge, wenn nicht recht gut, so doch etwas besser. Bedeutet aber nicht die Statuierung des Ewigen und Unendlichen die logisch-rechnerische Vernichtung alles Begrenzten und Endlichen, seine verhältnismäßige Reduzierung auf Null? Ist im Ewigen ein Nacheinander möglich, im Unendlichen ein Nebeneinander?“

STATEMENT DER JURY

Regisseur Sebastian Hartmann verzichtet in seiner „Zauberberg“-Inszenierung am Deutschen Theater Berlin auf Nacherzählung – und geht die Sache grundlegend anders an als gängige Bühnenbearbeitungen des Mann’schen Werkes. Bei Hartmann geht es um philosophische Aspekte; um das Phänomen von Zeit und Endlichkeit, die Frage nach dem richtigen Leben, schließlich um den Schrecken und das Faszinosum von Krieg und Tod. Hartmann verzichtet auch auf die auktoriale Erzählerposition; die Szenerie folgt vielmehr der Dramaturgie eines Albtraumes: Assoziation geht vor Narration, Gefühl vor Vernunft; die Folge ist kunstvoll intendierter Kontrollverlust. Postdramatische Spielweisen wie Wiederholungen, choreografierte Sequenzen und chorische Passagen dominieren, Kameras erweitern den Blick auf die Hinter- und Nebenbühne. Die Figuren schleppen sich in wattierten Bodysuits durch die leer geräumte Bühne, wirken identitätslos und seltsam entstellt. „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, heißt es im Lauf des zweistündigen Livestreams. In einem publikumsverwaisten Theatersaal, die Welt im Griff der Pandemie, entfalten solche Sätze enorme Wirkung.

PRESSESTIMMEN

Am DT verabschiedet er [Sebastian Hartmann] sich nun von jeder Erzählebene und zeigt allein seine radikal subjektiven, bizarren Assoziationswelten. (Die Deutsche Bühne)

Von heute ist der Einsatz des Live-Films. Der nämlich zeigt eine Möglichkeit auf, was Theaterstreaming kann, wenn man erstens den nötigen Aufwand nicht scheut und zweitens... (nachtkritik.de)

Der Berliner „Zauberberg“ strebt eine andere Authentizität an, die des Theatralischen, die natürlich nie trügerisch ist, ihrer Natur nach spekulativ. (Theater der Zeit)

GÄSTE BEIM NACHGESPRÄCH

Sebastian Hartmann, geboren 1968 in Leipzig. Schauspielstudium an der Theaterhochschule „Hans Otto“, Leipzig, anschließend Arbeit als Bühnen- und Filmschauspieler, von 1991 bis 1993 Ensemblemitglied am Deutschen Nationaltheater Weimar, von 1993 bis 1994 am Berliner Carrousel Theater. Ab Mitte der 1990er-Jahre erste Inszenierungen in der freien Theaterszene, 1998 Gründung des wehrtheaters hartmann, Einladung zum Impulse Theater Festival und dem Festival Politik im freien Theater. Inszenierungen am Theaterhaus Jena, am Tacheles, Berlin und am Theater unterm Dach in Berlin. Von 1999 bis 2003 Hausregisseur an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Von 2001 bis 2005 Hausregisseur am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg. Darüber hinaus Arbeit als freier Regisseur am Burgtheater Wien, Theater Basel, Schauspiel Köln, Theater Magdeburg, Schauspiel Frankfurt, NO Theater Tallinn sowie am Nationaltheater Oslo, wo er 2005 für seine Inszenierung „John Gabriel Borkmann“ den Heddapreis für die beste Regie und den Oslo Preis für die beste Vorstellung, sowie für seine Inszenierung von „Segen der Erde“ 2006 nochmals den Heddapreis erhielt. Von 2008 bis 2013 Intendant am Schauspiel Leipzig, wo er zahlreiche Inszenierungen auf die Bühne brachte (u. a. „Matthäuspassion“, „Eines langen Tages Reise in die Nacht“, „Der Kirschgarten“, „Paris, Texas“, „Der Zauberberg“, „Der Trinker“, „Krieg und Frieden“, „mein faust“). 2016 Eröffnung des internationalen Ingmar Bergman Festivals mit „Huset vid Natten Ände“. Einladungen zum Theatertreffen: „Krieg und Frieden“ (Centraltheater Leipzig, 2013), „Erniedrigte und Beleidigte“ nach Fjodor M. Dostojewski (Staatsschauspiel Dresden, 2019) und „Der Zauberberg“ nach Thomas Mann (Deutsches Theater Berlin, 2021).

Claus Caesar, geboren 1967 in Wiesbaden. Er studierte Germanistik, Mittlere und Neuere Geschichte und Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und der Washington University in St. Louis, USA, Promotion 1999. Von 1999 bis 2001 war er Dramaturgieassistent am Bayerischen Staatsschauspiel in München, von 2001 bis 2005 Dramaturg am Schauspiel Frankfurt und von 2005 bis 2009 am Thalia Theater Hamburg. Seit der Spielzeit 2009/10 ist er Dramaturg und seit der Spielzeit 2018/19 Chefdramaturg und stellv. Intendant am Deutschen Theater Berlin.

Chen Si’an ist Schriftstellerin, Dramaturgin und Regisseurin. Sie ist Gründerin und künstlerischer Leiterin des Play Reading Festivals „Sound and Fury“.